Leseprobe für "Depressionen bewältigen"




Routenplaner

Unter dieser Bezeichnung verstehen wir ein Hilfsmittel, welches eine neue Richtung anzeigen kann und mit dessen Hilfe wir das von uns gewollte Ziel leicht finden können.

An dieser Stelle haben wir heute ein Angebot für Ihr mögliches Ziel:

Ich bremse meine Erwartungen.

Wir verlangen oft zu viel von uns, und wir haben einen sehr hohen Anspruch an unsere erfolgreichen Handlungen. Wir vergleichen diesen Anspruch in belasteten Zeiten mit dem, was ein fitter, fröhlicher und gesunder Mensch schaffen könnte. Und so scheitern wir bereits gedanklich, und können unsere Wünsche nicht angehen.

Daher haben wir einen Tipp für Sie: Versuchen Sie, dem zu folgen, was Sie spüren – nämlich dass es momentan nicht so geht wie Sie es gern möchten und so, wie Sie es vielleicht von sich gewohnt sind. Stehen Sie dazu, dass es Ihnen nicht gut geht und Sie nicht belastbar sind. Denn es gibt einen Grund, der es uns nicht leicht macht, depressive Symptome abzuschütteln: Wir fühlen uns bei depressiven Symptomen „wohl im Unwohlsein“. Das mag sehr hart klingen – aber Sie können nichts dafür (!), das gehört zum Befundbild.

Aus der Biologie: Forscher haben bei Depressiven biologische Besonderheiten gefunden, zum Beispiel Funktionsstörungen von Hirnbotenstoffen, die mit Energieverlust und Freudlosigkeit einhergehen. Weil depressive Menschen schon früh am Morgen das Stresshormon Cortisol ausschütten, schlafen sie schlechter und wachen häufig früh auf.

Es wird also für einen depressiven Menschen „normal“, sich antriebslos, müde und freudlos zu fühlen! Das ist nicht die Persönlichkeit, sondern Teil der Erkrankung. Die gute Nachricht: Je mehr Sie selbst daran arbeiten, diesen Empfindungen entgegen zu wirken (und wenn Ihr Arzt es empfiehlt, auch mit medikamentöser Unterstützung), desto mehr können Sie wieder Sie selbst sein. Auch wenn Ihnen von ihren eigenen Gedanken vorgegaukelt wird, Sie könnten nichts an Ihrer Situation ändern: Sie können es!

Was bedeutet im Klartext, die eigenen Erwartungen zu bremsen? Nehmen wir ein Beispiel: Wenn Sie das Gefühl haben, Ihre Arbeit nicht mehr bewältigen zu können, kommt der vermeintlich erlösende Gedanke, diese in irgendeiner Weise abzubrechen (lange Krankmeldung, Kündigung, Rentenantrag). Ihre momentane biologische Verfassung sagt Ihnen auch, Sie haben das Gefühl, dies NIE mehr schaffen zu können.

Wenn Sie sich nun sagen, meine Arbeit, die mich möglicherweise in Vollzeit und mit viel Zeitdruck und in einem erwartungsvollen Team ständig fordert, dieser werde ich nicht mehr gerecht – dann sagen wir Ihnen, es ist nicht die Arbeit, die Sie nicht mehr schaffen, sondern es ist der Kampf mit Ihren Symptomen. Man weiß, dass die Arbeit eine wichtige Bedeutung für den belasteten Menschen hat. Sie würden beim Ausstieg aus der Arbeit kränker werden, nicht gesünder. Die Frage ist, wie Sie das Thema Arbeit (Arbeitsort, Inhalte, Qualifikation, Zeitumfang) für sich verändern können. Zumindest so lange, bis es Ihnen wieder besser geht!

Denn Arbeit

• bedeutet soziale Kontakte und Beziehungen.
• ermöglicht die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
• fördert Aktivität.
• strukturiert den Tagesablauf.
• gibt dem Menschen eine anerkannte Rolle, einen sozialen Status
• unterstützt damit Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit.
• gibt finanzielle Sicherheit, die höher ist als staatliche Zuwendungen oder Rente.

Dabei muss berücksichtigt werden, dass jemand einer Arbeitstätigkeit gewachsen sein muss, denn negativer Stress und Überforderung können eine Ursache für depressive Symptome sein.

Was wäre also „gesundmachend“, was die Arbeit betrifft? Hierzu haben wir einen Tipp:
Schreiben Sie auf, was Sie im Moment leisten können. Sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Notieren Sie außerdem, was Ihnen an Ihrer Arbeit oft Spaß gemacht hat und was Sie gern weiter tun würden. Überlegen Sie sich auch Ihre gewünschte Position. Denken Sie sich „mehr schaffe ich momentan nicht, und ich wäre zufriedener mit weniger Verantwortung und mehr Zeit für mich“.

Sagen Sie bitte nicht, finanziell sei dies nicht möglich – denn Überforderung ist eine große Gefahr, die zum völligen finanziellen Aus führen kann. Denn Lohnersatzleistungen oder eine früher als geplante Rente (sofern man diese denn erfolgreich beantragen kann), sind heute nicht mehr ausreichend, um langfristig davon leben zu können. Reduzierung der Ansprüche, NICHT Aufgeben aller Ansprüche ist das Mittel, was die Überforderung stoppt, die negative Erwartungshaltung bremst und Sie wieder genesen lassen kann.

Seien Sie einfach ehrlich zu sich und spüren Sie, was Ihnen gut tun kann. Wenn es Zeit ist, einfach weniger von sich zu erwarten, so wäre das in diesem Moment genau richtig! Wie Sie dahin kommen können Ihre Wünsche umzusetzen, zeigen wir Ihnen in einem der nächsten „Routenplaner“.

Es kann durchaus sein, dass das genannte Beispiel von Ingo nicht eins zu eins auf Ihre Situation anwendbar ist. Die eigenen Erwartungen zu bremsen, lässt sich genauso gut auf die allgemeine Tagesstruktur übertragen. Diese wird zwar bei vielen durch die Arbeit bestimmt, der Begriff der Arbeit kann dabei aber auch problemlos durch wiederkehrende Routinen ersetzt werden. Versuchen Sie den Abschnitt, statt auf die eigentliche Arbeit, doch lieber auf eine vergleichbare Tätigkeit zu beziehen wie z.B. einer ehrenamtlichen Tätigkeit, einem Hobby, einer regelmäßigen Beschäftigung oder auch ganz simpel der Gartenarbeit.


Lesebeispiel 1, Seite 3
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